Stand mal wieder eine neue ČSSR-Serie auf dem Programm, dürften sich die ostdeutschen Fernsehmacher in Berlin-Adlershof die Hände gerieben haben. Serien vom sozialistischen Nachbarn waren Straßenfeger! Gut, um Einschaltquoten dürfte es bei "DDR1" und "DDR2" - den zwei Ostsendern - nie gegangen sein. Aber: Man holte die Leute mal weg vom Westfernsehen!
Denn nicht nur Doktor Brinkmann war der Fernseharzt des Vertrauens, sondern für etliche Ostdeutsche (vor allem Frauen) waren das auch Doktor Sova und Assistenzarzt Blažej - aus "Das Krankenhaus am Rande der Stadt".
Eine Serie übrigens, die die ČSSR gemeinsam mit dem NDR drehte - und von der es eine ost- und eine westdeutsche Synchronisation gibt. Wie übrigens bei etlichen ČSSR-Produktionen. Im Nachhinein kann man gut sehen, welche Originaldialoge die ostdeutschen Fernsehkontrolleure entschärft haben ;-).
Das "Krankenhaus" war wohl die erfolgreichste ČSSR-Serie, nicht nur zwischen Cinovec und Znojmo. Die Liste der Produktionen vom Nachbarn, die auch viele DDR-Fernsehgucker begeisterten, ist lang: "Die Frau hinter dem Ladentisch" zählt unbedingt dazu, "Sie kam aus dem All", auch "Ein Haus mit tausend Gesichtern" und Filme wie "Lauf, Ober, lauf" und "Wie soll man Dr. Mráček ertränken? oder Das Ende der Wassermänner in Böhmen".
Woher kam dieser Erfolg?
Vielleicht lässt sich das so erklären: Unsere Nachbarn hatten vor allem viel Sinn für das Zwischenmenschliche. Beispiel "Die Frau hinter dem Ladentisch": Wie die Prager Verkäuferin Anna Holubová - eine selbstbewusste Frau Mitte 40 - nach frischer Scheidung sich für ihre beiden Kinder aufreibt, um ihnen den Vater zu ersetzen, und dabei teilweise am Trotz ihrer pubertären Tochter und dem Hereinreden ihrer eigenen Mutter verzweifelt: Das wirkt auch Jahrzehnte später noch gut erzählt.
Viel Realismus, oft wenig Sozialismus. Noch dazu hatten viele ČSSR-Filme Witz, atmeten Leichtigkeit und waren manchmal auch etwas überdreht und schräg.
Uns Kinder wiederum faszinierte die schillernde Fantasiewelt vieler Filme und Serien: Das kecke Mädchen auf dem Besenstiel, das die Lehrer verhexte! Oder der Zauberer Rumburak, der sich in einen Raben verwandeln konnte!
Die beste Zeit des tschechoslowakischen Films
In den 1960er Jahren war der tschechoslowakische Film international ein Star! Der politische Druck der Stalinzeit hatte nachgelassen, und eine neue Generation von Regisseuren wurde aktiv: Die tschechoslowakische Neue Welle, z.B. mit Miloš Forman.
Er drehte in Barrandov - einem der größten und ältesten Filmstudios Europas - beispielsweise sein Meisterwerk "Der Feuerwehrball" (Hoří, má panenko). Unkonventionell mit Laiendarstellern und manchen Spitzen gegen das sozialistische System. Nach dem Prager Frühling ging der Film in den Giftschrank, Forman in die USA - und die Filmszene in seinem Heimatland büßte viel von ihrem Avantgardismus ein.
Acht Filme und Serien, die sich wirklich lohnen
Na, inzwischen neugierig auf Sehenswertes von unsren Nachbarn? Dann findest du hier viel Neues aus Tschechien und einige Klassiker made in ČSSR - eine subjektive Auswahl. Acht der schönsten, witzigsten und spannendsten Filme und Serien, die dich hoffentlich gut unterhalten werden! Ohne "Aschenbrödel", denn das dürftest du zur Genüge kennen :-).
"Die wahnsinnig traurige Prinzessin" (ČSSR 1968)
Königssohn soll Königstochter aus dem Nachbarreich heiraten - und will nicht. Ein bekanntes Muster, ja: Doch für einen Märchenfilm wird ganz schön viel geknutscht, und zwar gleich von Anfang an. Viele witzige Details machen den Streifen sehr unterhaltsam: Die Königskutsche trägt ein Nummernschild, bei der Hochzeitsparty im Palast laufen Charly-Chaplin-Clips. Und achte bitte unbedingt auf die Filmmusik! Die stammt von einem gewissen Jan Hammer - jetzt (Miami) Vice-ste Bescheid, oder?
Der Film glänzt vor allem mit der hervorragenden Schauspielerei zweier absoluter Superstars, die im Ostblock jeder kannte: Václav Neckář als energiegeladener Springinsfeld und Königssohn, und die sehr junge Helena Vondráčková als Prinzessin von nebenan.
In Tschechien landete Šíleně smutná princezna bei einer Umfrage auf Platz 4 der Bestenliste aller Filme. Vollkommen zu Recht!
"Kolja" (Tschechien 1996)
Tschechien kann Oscar! 1997 als Bester fremdsprachiger Film geehrt, ist "Kolja" (oder in englischer Schreibweise "Kolya") ein Streifen, der alles hat was ein Film braucht: Witz, herzzereißend traurige Szenen - und ein gutes Ende. Dazu typisch tschechischer Humor, zudem spielt "Aschenbrödel"-Schauspielerin Libuše Šafránková mit!
Es geht um den Musiker František, der im Vor-Wende-Prag sich politisch unbeliebt gemacht hat und deshalb aus dem Orchester geflogen ist. Er braucht Geld - für einen Trabant. Das kriegt er, als er zum Schein eine Russin heiratet. Und er kriegt ungewollt den kleinen Kolja. Denn dessen Mutter, die Russin, kehrt von einer Reise nach Westdeutschland nicht zurück. Die beiden Männer müssen also lernen, zusammen zurechtzukommen.
Der Film lief auch in Deutschland lange in den Kinos, in den USA spielte er fast sechs Millionen Dollar ein. Spätestens seit "Kolja" dürften auch die Amerikaner wissen, was ein Trabant wert ist ;-).
"Prager Morde" (Tschechien 2021)
Falls du historische Krimiserien magst, bist du hier richtig! Ebenso, wenn du gern mal einen Blick in die Wohnungen der schönen Prager Altstadthäuser werfen willst. Da lebt Inspektor Budík mit seiner Frau, einer ungarischen Adeligen, den Töchtern und einer Haushälterin.
Im Prag der 1920er Jahre müssen sie sich mit vielen Veränderungen arrangieren: Dass es in der eben gegründeten Tschechoslowakei keine Adelstitel mehr gibt, und dass Budík in die Abteilung für die Vororte von Prag degradiert wurde. Auch hier wird gemordet - nur muss man da als Inspektor manchmal durch Kuhmist waten.
Krimis zeichnen ja oft ein Gesellschaftsbild. Das aus den Anfangsjahren unserer Nachbarrepublik ist wirklich spannend. Auch hier werden die befördert, die auf der vermeintlich politisch richtigen Seite stehen. Und ein Mord an einem deutschstämmigen Jungen ist eine Geschichte, die politisch heikel zu werden droht.
Bemerkenswert ist das ruhige Erzähltempo der Serie, ohne Action und Krawumm-Dramatik. Außerdem die sehr gute Schauspielergarde mit sympathischen Filmgesichtern, die wir in Deutschland leider noch nicht kennen: Als niemals lächelnder Inspektor Budík agiert Jaroslav Plesl, sein Kollege (und Frauenheld) Havlík wird gespielt von Jiří Langmajer, und als Julie, eine von Budíks Töchtern, ist Darija Pavlovičová zu sehen.
"Mimořádná událost" ("Notfallsituation", Tschechien 2022)
Eine herrlich skurrile schwarze Komödie! That escalated quickly, würden manche über die Handlung sagen. Einer dieser Triebwagen-Züge, die man in Tschechien auf Nebenstrecken oft trifft, rollt plötzlich los, als der Zugführer grad draußen die Technik überprüft. Drinnen eine Handvoll Reisende, alle bißchen eigenartig: Etwa die überspannte junge Mutter mit quengelnder Tochter, das Paar mit toxischer Beziehung, eine junge Band auf dem Weg zum ersten Gig und ein Jäger, der seine Flinte dabei hat.
Als eine junge Frau den fahrerlosen vorbeirollenden Waggon filmt und das Video viral geht, springt auch die Politik auf den Zug auf, im Fernsehen laufen Sondersendungen. Im Zug finden derweil die Reisenden neue Beziehungen zueinander ...
"Eine der besten tschechischen Komödien seit Jahren", schreibt ein Nutzer im Netz. Und vielleicht fragst auch du dich bei deiner nächsten Zugfahrt: Wer ist das eigentlich, der da neben mir sitzt?
"Limonaden-Joe" (ČSSR 1964)
Ein Western aus der ČSSR? Im Prinzip ja - als herrlich turbulente Persiflage des Genres! Dazu mit viel Musik, unter anderem von Karel Gott. Und Schauspielern, die bei unsren Nachbarn Kult sind, wie Miloš Kopecký oder Hauptdarsteller Karel Fiala. Und: Der unverkennbare Vladimír Menšík als Barkeeper!
Fiala spielt einen Edelcowboy in weißen Klamotten, der die Suffkes im Saloon von Stetson City vom alkoholfreien Leben überzeugen will. Er hat immer ein paar Flaschen seiner Kolaloka-Limonade dabei - und all die harten Männer (und auch die den Joe anschmachtenden Frauen) laufen ins Abstinenzlerlager über. Das passt aber einem nicht in den Kram: Hogo Fogo, der Master Criminal, will Joe erschießen und schmiedet ein Komplott. Dass Limonaden-Joe gut aus der Nummer rauskommt, verdankt er vor allem Tornado Lou, der Saloonsängerin, die ein Auge auf ihn geworfen hat ...
Der Film ist eine Sammlung von Slapstick, turbulentem Unfug und absichtlich sentimentalem Liebesschmalz. Guter Humor, der trotz seiner Jahrzehnte noch immer frisch wirkt!
"Pelíšky" ("Kuschelnester", Tschechien 1999)
Ein tragikomischer Weihnachtsklassiker! Zwei Familien leben in einem Prager Haus: Vater Šebek ist 100prozentiger Kommunist, Vater Kraus glaubt hingegen dass es mit den Roten bald vorbei ist. Beide geraten immer wieder aneinander. Šebek-Sohn Michal ist währenddessen verliebt in die Kraus-Tochter. Doch die hat nur Augen für einen anderen, dessen Eltern für ein Jahr in den USA leben ...
Der Film steigt ein an Weihnachten 1967 mit dem üblichen Feiertagswahnsinn: Hektik beim Auftischen, gespielte Geschenke-Freude und betrunkene Männer, die sich plötzlich absurde Wettstreits liefern. Achte mal auf das sorgfältig gestaltete Szenenbild! Schon das typisch sozialistische Geschenkpapier weckte bei mir sofort Erinnerungen! Und wetten, auch du hättst einige der 60er-Jahre-Möbel gern heute wieder in der Wohnung?
"Pelíšky" ist Familienstory, Coming-of-Age-Geschichte. Und Sittenbild einer Zeit, als man Minderjährige noch mit Ohrfeigen erzog und man am Pförtnerhäuschen von Betrieben auf Anrufe wartete - weil nur wenige daheim ein eigenes Telefon hatten. Neben viel ČSSR-Beatmusik gibt's auch etliche alberne Szenen. Und Plastelöffel aus der DDR haben ihren ganz großen Auftritt!
"#martyisdead" (Tschechien 2019)
Eine hochspannende Thrillerserie, die sich schon 2019 mit dem Phänomen Cybermobbing gegen Kinder und Jugendliche auseinandersetzte.
Der junge Marty wird in Prag von einem Lieferwagen angefahren und stirbt. Seine Eltern - beide sehr in ihre Jobs eingespannt - entdecken kurz darauf auf seinem Laptop merkwürdige Chatverläufe. Die Cybereinheit der Polizei sieht sich außerstande, bei facebook Auskünfte einzufordern - denn es liege ja kein Terrorismusverdacht oder ähnlich schwerwiegendes vor. Martys Vater Petr beginnt nun, auf eigene Faust nachzuforschen ...
Zu Anfang wirken Serie und Schauspieler etwas kühl. Doch Regisseur Pavel Soukup baut eine sehr spannungsgeladene Erzählung auf, die immer wieder andere Personen als Verdächtige in den Mittelpunkt stellt. Jede Folge ist nur 15 Minuten lang, die Serie eignet sich also bestens fürs Bingewatching.
Das Thema ist hard stuff - doch gibt einen Blick in eine Welt, in der ein einziges Video alles verändern kann, wo Social Media Beziehungen definiert und den Schulalltag prägt. "#martyisdead" gewann als erste tschechische Serie 2020 einen Emmy.
Wo finde ich günstig tschechische Filme und Serien?
Viele Filmschätze bietet dir die Seite filmfriend, der kostenlose Streamingdienst der Bibliotheken. Die Seite hat vor allem neue Filme und Serien unsrer Nachbarn vorrätig: Mit Trailern und der Möglichkeit, eine eigene Watchlist anzulegen. Alles, was du brauchst, ist dein Bibliotheksausweis.
Willst du gern ältere Streifen sehen, lohnt sich zum einen der Blick auf Youtube oder Dailymotion und danach in die Streamingdienste. Bei letzteren hilft die Suchmaske Wer streamt es.
Wenn du schon tschechisch kannst oder lernst, ist die Youtube-Bibliothek "FILMY ČESKY A SLOVENSKY" eine feine Sache. Außerdem gibt's hier viele Trickfilme für Kinder, wie etwa von der kleinen Grille (Cvrček) - die kennst du doch auch noch, oder?
Auf der Seite Czechmovie findest du DVD's alter Kassenschlager und Neueres. Und falls du mal in Prag bist: Im Gebäude des Tschechischen Rundfunks (Český rozhlas) in der Vinohradská 1409 gibt es einen Shop, wo du neben CD's mit tschechischer Musik oft auch preisgesenkte DVD's kaufen kannst. Stöbern lohnt!
Solltest du in Dresden wohnen, hast du besonderes Glück: Denn hier gibt's den "Tschechischen Filmmittwoch". Im Zentralkino läuft jeden erste Woche im Monat ein tschechischer oder ČSSR-Film im Original mit Untertiteln.
Und wie steht es um Tschechiens Filmindustrie?
Produktionen von unseren Nachbarn kommen leider nur seltenst ins deutsche Kino oder Fernsehen. Zu dominant ist offenbar die westeuropäische Produktions- und Vermarktungsmaschinerie.
Doch stecke in der heimischen Filmindustrie eh' der Wurm, schreibt der Regisseur Jan-Karel Pavlík im Frühling 2024 in einem Zeitungsartikel: Mainstream-Drama und -Komödie regierten. "Was am meisten fehlt, ist ein Gefühl, das dem Kino, dem Film wesentlich ist: echte geteilte Lebenserfahrung."
Als Drehort ist Tschechien aber immer wieder ein Hotspot für internationale Produktionen, wie etwa "James Bond", "Mission Impossible" oder "Die Chroniken von Narnia". Niedrige Produktionskosten und professionelle Crews sind das eine - Landschaften und Städte, die ihresgleichen suchen, der andere Erfolgsfaktor. "Dieses Land ist das heimliche Hollywood Europas", titelten Zeitungen im Sommer 2025. Und die Fotos vieler Drehorte sprechen für sich!