Srbská was? Ja, das Dorf kurz hinter der Grenze bei Bad Schandau ist nicht unbedingt der bekannteste Ort. Zumal es auch ordentlich touristische Konkurrenz um sich hat: Jetřichovice mit Rudolfstein und Wilhelminenwand, Hřensko mit dem Prebischtor sowie Česká Kamenice, die hübsch rausgeputzte Kleinstadtschwester. Das frühere Wendisch Kamnitz wirkt beim ersten Durchfahren auch etwas verschlafen. Doch du wirst viele Dinge entdecken, die in der Summe wirklich einen Besuch lohnen!
Schon die Fahrt hierher mutet an wie ein kleines Abenteuer: Nachdem wir per Auto die Grenze bei Schöna passiert haben, biegen wir im ersten Ort, in Hřensko, links ab und gleich darauf scharf rechts. Es geht durch zwei Dörfer, Janóv und Růžová. Schmale Straßen, kurvig, ohne Markierung und mit teils ordentlicher Steigung.
An einem Wochentag im November scheinen wir die einzigen zu sein, die hier unterwegs sind. Die nebelumhüllten Waldstücke neben den Straßen lassen die Gegend noch einsamer wirken. In Janov gibt es etliche Pensionen, in zwei Gärten rosten alte Skoda-Karossen vor sich hin. In Růžová werkeln ein paar wenige Leute noch in den Gärten, um alles winterfest zu machen.
Kurz darauf erreichen wir Srbská Kamenice. Was sofort auffällt: Etliche schöne Umgebindehäuser! Dieser Gebäudetyp, wo das Erdgeschoss ein Blockbau ist - ab und an mit Holzbögen - , und die Stockwerke darüber aus Fachwerk bestehen. Franken und Thüringer haben diese Art des Bauens hierher gebracht. Heute gibt es Umgebindehäuser in einem Streifen, der sich von Polen - von Niederschlesien aus - über Sachsen bis in den Nordosten Bayerns erstreckt.




Den Fans ländlicher Architektur dürften in und um Srbská Kamenice die Augen übergehen: Jede Menge Umgebindehäuser - viele davon sind denkmalgeschützt.
Srbská hat alles in allem 266 Einwohner - und fast alle scheinen an einer Straße zu wohnen. Kommst du aus Richtung Růžová ins Dorf rein und biegst links auf die Hauptstraße, fällt dir schon nach wenigen Metern eine massive Felswand auf, in die mehrere Türen hineinführen.
Hier lohnt es sich anzuhalten: Denn neben den Türen prangt am Fels ein großes Relief der Krönung Marias aus dem Jahr 1701 (Reliéf Korunování Panny Marie). Das zwei mal zwei Meter große Relief wirkt beeindruckend, doch wer es mühevoll in Stein gehauen hat, ist unbekannt.
Die Kirche in Srbská: Gekaufter Altar und gleich zwei Orgeln
Auf derselben Straßenseite grüßt wenige Meter weiter vom Hügel herab der Turm der Kirche St. Wenzel. Spätbarock, erbaut 1773 bis 1776, und das Aushängeschild des Ortes. In den 1990ern wurde sie restauriert, mit Geldern aus Tschechien und Deutschland.


Die St. Wenzel-Kirche in Srbská Kamenice: Leider gerade verschlossen, aber innen soll sie ein echtes Schmuckstück sein ...
Leider ist die Tür verschlossen. Dabei hätten wir gern den prächtigen Altar gesehen, der einst in Prag stand, verkauft wurde und Ende des 18. Jahrhunderts per Schiff und auf Bauernfuhrwerken hierher gelangte. Zudem hat die Kirche gleich zwei Orgeln! Eine gute Ausstattung also, um ein Musikfestival abzuhalten, das jährlich im August und September hier stattfindet.
Was gibt es noch zu sehen? Waldtheater und Flussromantik
Was dir neben den Umgebindehäusern ebenfalls auffallen wird, sind die liebevoll illustrierten Holzschautafeln. Sie erklären die Besonderheiten des Dorfes, und die Holzfiguren neben ihnen sind netter Blickfang und Fotomotiv. Sie weisen unter anderem auf einen Weg entlang am Flüsschen Kamnitz, wo es sich hervorragend picknicken lässt, wo Kinder spielen können und es einen Platz für Discgolf gibt.


Das Waldtheater von Srbská Kamenice findest du beim Spaziergang im Ort entlang des Flüsschens Kamnitz.
Nicht weit davon entfernt gelangst du über einen kurzen Anstieg bergauf in das Waldtheater des Ortes! Spielpläne waren leider im Netz nicht zu finden. Vielleicht erfragst du die am besten im Infozentrum (geöffnet April/Mai und Oktober jeweils Fr-So, Juni-September Mo-So, immer jeweils 9-17 Uhr). Srbská Kamenice hat auch einige Lokale, von denen außerhalb der Saison aber die meisten nur eingeschränkt geöffnet haben.
Weiter nach Všemily: Zur Felsenkapelle
Einmal in Srbská, lohnt unbedingt auch der Weg in das Dörfchen Schemmel, heute Všemily. Hier siehst du ebenfalls Umgebindehäuser - und die bemerkenswerte Felsenkapelle St. Ignatius! Sie ist aus einem Sandsteinblock herausgearbeitet worden und wirkt, als wäre sie einem Buch von Tolkien entnommen.

Zu ihr gelangst du, wenn du - aus Richtung Srbská kommend - eine kleine Brücke über den Fluss nimmst. Rechterhand liegt die einstige Schule von Schemmel, ein schwarz vertäfeltes Haus mit kleinem Türmchen. Wenige Meter dahinter schmiegt sich die Kapelle an den ansteigenden Berg.




Ein Ort wie geschaffen fürs Innehalten und Besinnen: Die Felsenkapelle St. Ignatius im früheren Schemmel.
Wer durch die niedrige Tür in sie eintritt, hat das Gefühl, dass hier seit Jahrzehnten die Zeit still steht: Mehrere schmale Kirchenbänke stehen da, ein kleiner Altar, ein halbes Dutzend Bilder an den Wänden. Erstmals erwähnt 1835, ist die Kapelle mit Fördermitteln und Spenden aus Deutschland und Tschechien erhalten worden.
Im Wald bei Bunkern und Tschechenigeln
Bis hierhin hat sich der Besuch in Srbská Kamenice doch schon gelohnt, oder? Du kannst aber noch mehr entdecken, wenn du von der Felsenkapelle wieder zur Hauptstraße zurückläufst, diese überquerst und einen blau gekennzeichneten Weg nach rechts nimmst, der am Friedhof von Všemily vorbei in den Wald führt.
Du wirst den Weg nicht weit hochlaufen müssen, bis du den ersten Zeugen einer dramatischen Zeit entdecken wirst: Einen Bunker aus dem Jahr 1937.




An manchen Bunkern ist gut zu erkennen, aus welcher Richtung der Feind erwartet wurde: An dieser Seite wurde zur Tarnung Erde angeschüttet, und der Bunker ist mit Gras überwuchert.
Im Radius von nur einem Kilometer stehen etwa ein Dutzend solcher Objekte unterschiedlicher Bauart und Größe! Du findest sie recht einfach, denn das Terrain ist prima ausgeschildert. Alle Bunker sind gut erhalten, manche gar in einem Zustand, als wären sie gestern erst aufgestellt worden.
Sie alle erinnern an die wohl schwierigsten Jahre der jungen Tschechoslowakei: Mitte der 1930er Jahre wollte man die langgestreckten Landesgrenzen mit einer Befestigungslinie für den Fall eines Angriffs rüsten. Dafür entwarfen Ingenieure verschiedene Bunkertypen und orientierten sich dabei an der französischen Maginot-Linie. Die meisten Bunker entstanden ab 1934. Ab Ende der 1940er Jahre sollten - so geplant - 16.000 (!) solcher Objekte die Grenzen der Tschechoslowakei zum Deutschen Reich, zu Österreich, Polen und Ungarn schützen.
In Srbská Kamenice findest du zumeist Kleinkampfbunker, Typ 37. Denn im schwer zugänglichen Gelände der Böhmischen Schweiz rechnete man nicht mit Panzerangriffen. "Leichte" Behausungen waren es trotzdem nicht: Die Wände sind 80 Zentimeter dick, von außen sollte zudem eine Schicht Felssteine schützen.
Die Bunker waren für sieben Soldaten und zwei MG's - mit Schießscharten links und rechts - gedacht. Die Besatzung hätte im Ernstfall den Vormarsch feindlicher Soldaten mit aufhalten und mobile Truppen unterstützen sollen.
Wenn du den ersten Bunker entlang des blau gekennzeichneten Wanderwegs entdeckt hast, ist der gelegentlich geöffnete Museumsbunker nicht mehr weit. Geh dazu nach rechts über die Wiese, wo du an einem Felsen vorbeikommst mit einem zweiten, sehr gut getarnten Bunker (mit Infotafeln aus alten Zeitungstiteln).



Das Bunkermuseum bei Srbská Kamenice, mit Tschechenigeln davor. Bei den Bunkern wirst du - meist hinter einem Gitter - eine Stahltür entdecken, daneben eine Schießscharte. Einige Bunker sind auch offen, und du kannst sehen wie eng es in ihnen ist.
Gehe von da weiter nach rechts - nach etwa 150 Metern entdeckst du das "Museum Tschechoslowakische Befestung", wo vor einem Bunker in Tarnanstrich ein Mast in Nationalfarben steht.
Gleich daneben siehst du mehrere große "Tschechenigel". So heißen die Panzersperren aus windschief zusammengeschweißten Stahlträgern. Und sie wurden tatsächlich in der Tschechoslowakei im Zuge des Bunkerbauprogramms entwickelt - von František Kašík, einem Bauingenieur.
Der mysteriöse Flugzeugabsturz von Srbská Kamenice
Uns hat aber noch eine andere Geschichte in das kleine Srbská gezogen: 1972 ist nahe des Dorfes eine jugoslawische Linienmaschine abgestürzt, die unterwegs war von Stockholm nach Belgrad. Ein Unglück, um dessen Ursache sich bis heute Vermutungen ranken - und wo möglicherweise Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten.


Die Crew von Flug JAT367 hatte am 26. Januar 1972 nachmittags über dem DDR-Territorium noch Funkkontakt mit dem zuständigen Tower in Cottbus. Nur wenige Minuten später aber brach die Maschine - wie damals berichtet wurde - in über 10.000 Metern Höhe auseinander.
Einige Trümmer der Maschine fielen auch auf die Wiesen zwischen Nová Oleška und Srbská Kamenice (hier Fotos aus tschechischen Archiven). Dort erinnert heute ein Gedenkstein an die Katastrophe.


Die Tafel und der Gedenkstein, die an den Absturz erinnern, stehen an der Straße zwischen Srbská Kamenice und Nová Oleška.
Von den 28 Menschen an Bord überlebte nur die Stewardess Vesna Vulović, die daraufhin einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde erhielt - für den höchsten überlebten Fall ohne Fallschirm. Im Tito-Jugoslawien gab es sogar Lieder über sie. 2012 besuchte sie nochmal Srbská Kamenice.
Nach langen Ermittlungen hieß es damals von Seiten der tschechoslowakischen Staatssicherheit StB, dass es an Bord der DC9-Maschine eine Explosion gegeben habe. Im Gepäckbereich - so der Abschlussbericht - sei eine Bombe explodiert: In einem braun-roten Koffer, vermutlich per Zeitschaltuhr gezündet.
Jugoslawien beschuldigte daraufhin kroatische Terroristen, die eine Loslösung ihres Landesteils von der sozialistischen Republik erzwingen wollten. Denn am selben Tag hatte es eine Bombenexplosion in einem Zug von Wien nach Zagreb gegeben, und bei einer schwedischen Zeitung war ein Bekenneranruf eingegangen.
JAT367: Ein Anschlag - oder vielleicht doch ein Abschuss?
Dass es kein Anschlag war, darüber hatte schon 1997 ein tschechisches Magazin, Letectví a kosmonautika, spekuliert. Im Jahr 2009 gingen der ARD-Journalist Peter Hornung und der Luftfahrtjournalist Tim van Beveren der Geschichte noch einmal nach. Sie sprachen mit Augenzeugen und Luftfahrtexperten, hatten Zugang zu Geheimdienstakten. Und kamen zu dem Schluss, dass viele Indizien für einen Abschuss sprechen. So sei das Flugzeug nahe Srbská Kamenice laut Augenzeugen weit niedriger geflogen als 10.000 Meter.
"Die Piloten des jugoslawischen Flugzeuges hatten nach einem Zwischenfall an Bord wohl verzweifelt eine Notlandung versucht, kamen dabei in militärisch sensibles Gebiet und wurden sehr wahrscheinlich von der tschechoslowakischen Luftwaffe abgeschossen", beschreibt Hornung laut tagesschau.de im Januar 2009 einen möglichen Lauf der Ereignisse.
Auch die "taz" sowie der Guardian berichteten über Hornungs Rückschlüsse. Das österreichische Luftfahrtmagazin Austrian Wings griff in einem Artikel 2012 die Vermutungen nochmal auf - wies jedoch auch auf das FBI hin, dessen Beamte einen kroatischen Anschlag für wahrscheinlich hielten.
Ein Artikel auf der Website des Guinness Buchs der Weltrekorde führt gegen die Abschuss-Theorie den Fakt ins Feld, dass neben den tschechoslowakischen und jugoslawischen auch niederländische Behörden die Flugschreiber untersucht hätten. Und die Daten bewiesen eindeutig einen Absturz aus 10.000 Metern Höhe.
Die tschechische Zeitung iDnes listete in einem Artikel 2012 noch mehr Gründe auf, die gegen einen Abschuss sprechen. Erstens wüssten zu viele davon: Beim Inbetriebsetzen eines entsprechenden Raketensystems müssten laut eines Militärexperten bis zu 200 Personen informiert werden. Auch hätten die Trümmerteile des Flugzeugs dann komplett anders ausgesehen.
Neueste Erkenntnisse
Die Story scheint also unendlich. Und sie erzeugt immer wieder Schlagzeilen: Was damals über Srbská Kamenice geschah, versuchte 2024 auch das schwedische Fernsehmagazin Kalla Fakta herauszufinden. Redakteure konnten in ehemals geheime Dokumente des jugoslawischen Geheimdienstes blicken - und entdeckten Namen von Verdächtigen und wie der Anschlag offenbar geplant und finanziert wurde.
Kalla Fakta gelang es auch, mit drei Mitgliedern einer kroatischen Nationalistengruppe zu sprechen, die in Schweden leben. Geständnisse gab es natürlich keine. Wer oder was wirklich hinter dem Absturz von JAT367 steckt, wird wahrscheinlich weiter für Spekulationen sorgen.
Was es noch gibt in Srbská Kamenice

Wahrscheinlich bist du jetzt etwas erschlagen von all den Entdeckungen in Srbská Kamenice, oder? Das Beste wird sein, sich für diese Gegend ein paar Tage Zeit zum Erwandern zu nehmen, am besten im Frühling oder Sommer. Drumherum in der Böhmischen Schweiz gibt's ja auch noch unendlich viel zu sehen.
Der stille Charme (nord-)böhmischer Dörfer: Der zeigt sich hier auch in den Dingen am Wegesrand. Etwa den Metallkreuzen, die für diesen Landstrich so typisch sind. Oder den Zaunsreihen mit umgestülpten Kaffeetassen drauf. Und wenn es einen Preis gäbe für das kleinste Dorf mit den meisten Geschichten: Das alte Wendisch Kamnitz würde ganz weit vorn landen!